7. März 2012
Unterm Dachstüberl ist was los!
Einrichtung eines Schularchivs im Dachgeschoss des Bodensee-Gymnasiums
Hoch, höher, noch ein paar Treppen, dann eine Pause. Wir befinden uns im obersten Stockwerk des Bodensee-Gymnasiums. Vor drei Jahren wurde das 150-jährige Schuljubiläum gefeiert. Die Wurzeln reichen sogar noch weiter zurück bis ins 16. Jahrhundert. Klar, dass sich während einer so langen Zeit auch viel Interessantes angesammelt hat. Um das würdig verstauen zu können, soll nun ein neues Schularchiv eingerichtet werden. Dafür nimmt uns Bent Jörgensen als erstes Reporter-Team mit in den auserwählten Raum. Als SMV-Zimmer hat er ausgedient, doch Spuren hinterlassen hat die Schülermitverantwortung trotzdem. Es ist ein kalter, heller Raum mit beißendem Gestank. Hier werden in ein paar Wochen ein neuer Boden gelegt, neue Fenster eingebaut und weitere grundlegende Renovierungsarbeiten durchgeführt werden. Danach kann sich das Entwicklungsteam von Irene Heß, Bent Jörgensen, Christian Schulze und Georg Drexler auf bis zu 30 Quadratmetern bestens einrichten. Im Laufe der Zeit können noch weitere Medien und Arbeitsplätze hinzugefügt werden. Die Organisation und Betreuung des Archivs übernimmt das Team ehrenamtlich und in seiner Freizeit. Bald schon sollen hier Schüler die Möglichkeit bekommen, unter kundiger Anleitung einen Einblick in die Vergangenheit ihrer Schule und in geschichtlich wertvolle Dokumente zu erhalten. Angedacht sind bereits Recherchen für Seminararbeiten oder geschichtliche Projekte.
Lorenz Haase, Projekt Umwelt-baut-Brücken
Bittschrift für die Einsetzung einer Gewerbeschule in Lindau (1859)
Das Bodensee-Gymnasium kann auf eine lange Vergangenheit zurückblicken. Bereits 1528 wurde die reichsstädtische Lateinschule gegründet, unsere älteste Wurzel. Im Jahr 1859 kam dann mit der Errichtung einer Handels- und Gewerbeschule die zweite Wurzel hinzu, deren 150. Jubiläum wir 2009 gefeiert haben. Seit dem letzten Jahr richten wir nun einen eigenen Raum als Schularchiv ein, in dem wir die Zeugnisse dieser reichen Vergangenheit sammeln, aber auch besser zugänglich machen wollen. Damit erhalten Schülerinnen und Schüler beispielsweise im Rahmen des Faches Geschichte die Möglichkeit zur Arbeit an authentischen Quellen, während die neunte Jahrgangsstufe im Informatikunterricht bereits damit begonnen hat, Datenbanken für eine Katalogisierung der Bestände zu entwerfen. In Zukunft bietet das Archiv auf diese Weise vielleicht sogar Themen für P- oder W‑Seminare.
Eine besonders wichtige Quelle soll im Folgenden etwas genauer vorgestellt werden. Es handelt sich dabei um eine Bittschrift an die königlich bayerische Regierung des Bezirks Schwaben und Neuburg vom April 1859. Auch wenn der Text nicht unterzeichnet ist, können wir davon ausgehen, dass er aus der Feder des Werkmeisters Jakob Götzger stammt, der sich vehement für die Einrichtung einer Gewerbeschule in Lindau eingesetzt hat. In diesem Schreiben versucht er, die zuständigen behördlichen Stellen von seinem Vorhaben zu überzeugen – wie der weitere Verlauf unserer Schulgeschichte zeigt, mit Erfolg.
Bent Jörgensen
Zur Gründung
einer
Gewerbeschule in Lindau
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Die örtliche Eigenthümlichkeit, daß hiesige Stadt von aussen ganz mit Wasser abgeschlossen und hiedurch den Bewohnern nicht, wie anderswo, Gelegenheit zum Betriebe für Landwirthschaft geboten ist, veranlaßte schon in früheren Zeiten, daß man hier mehr, als vielleicht anderswo geschah, auf Schulen, oder besser gesagt, auf Ausbildung der Jugend verwendete, so war denn schon seit mehr als Mannes denken besonders für guten Rechnen= Schreiben Zeichnen und französischen Sprach=Unterricht gesorgt worden.
Diese Anstalten erwiesen sich bis auf letztere Jahrzehnte als genügend für den Handwerksmann, und selbst jene Handwerker, wie Seiler ( sogenannte Ballenbinder) und Kübler, die zunächst im Speditions=Geschäfte vom Kaufmann Verwendung fanden, ebenso Schiffer und andere Gewerbe erhielten hier die erforderliche Ausbildung zu ihren Geschäften, die Söhne der Bau= und anderer hiemit verwandten Gewerbe mußten aber auswärts die nöthigen Kenntnisse sich zu erwerben suchen. –
Der Erwerb Lindaus bestand der Hauptsache nach in Handel und Spedition, aus diesen schöpfte größtentheils der Gewerbsmann direct und indirect seinen Verdienst, und erhielt ihn auch wirklich in reichlichem Maaße.
In den letzten Jahrzehnten bildete aber auch die Schranne einen erheblichen Theil der hiesigen Verdienstquellen. – Ja alles fand hier unter und durch sich selbst, ohne daß man genöthigt war, nach aussen zu arbeiten, Verdienst, Brod und nöthiges Auskommen. –
Durch den Zeitenumschwung ist jedoch alles anderst geworden, die Schranne stockt, die Arbeiter derselben gehen an Taglohnsarbeiten, außer Bretter und Schmalz besteht so zu sagen kein eigentlicher Handel in Lindau mehr, die Spedition gleicht in der gegenwärtigen und nächstfolgenden Zeit einer Quelle, die im Sande spurlos verrinnt, Fabricken oder irgend welche industrielle Unternehmungen finden wir um Lindau nirgends.
In Lindau selbst ist die Dampfschifffahrt, welche ebenfalls durch zu große Concurrenz kränkelt, dann noch der Betrieb der königl. Eisenbahn.
So leicht der Bewohner Lindau’s bis zu den letzten Jahren sich Verdienst und Unterhalt verdiente, ebenso sehr ist es jetzt nicht mehr der Fall und wird es in nächster Zeit noch viel weniger werden. – Wir sind weit entfernt Jemanden darüber Vorwürfe zu machen oder als Schuldige zu bezeichnen; wir begreifen recht wohl, daß der unaufhaltsame in das Leben und Treiben allerwärts eingreifende Dampf nur allein seine Wirkung bekundet. –
Wir halten es aber auch für Pflicht zu erwägen, zu prüfen was nun das beste Mittel seye, um uns, um unsere Kinder und späteren Nachkommen vor Verarmung zu bewahren, ja statt nur gegen diese auch noch für ganz Anderes, das da kommen wird, wir meinen die Gewerbefreiheit, gerüstet da zu stehen. –
All dieses erzeugte inneren unwiederstehlichen Drang, so daß schon vor mehreren Jahren hiesige Bürger Veranlaßung gaben und theilweise aus Zunftkassen die Mittel dazu biethend, eine Realschule hier zu errichten, um hiedurch jedem in Lindau lebenden Familienvater ohne Ausnahme Gelegenheit zu besserer Ausbildung, als bisher geschah, für seine Knaben möglich zu machen.
Wir kommen nun auf die Realschule, und wenn wir im Allgemeinen derselben nicht zu nahe treten wollen, so bestehen doch in ihr Verhältnisse eigener Art, die nach unseren obwaltenden Ansichten nicht geeignet sind, uns das zu bieten, was wir von ihr erwarteten.
Um in das Seye der Schule tiefere Blicke werfen zu können, wollen wir versuchen ihren Organismus so klar als möglich vor Augen zu legen.
Nehmen wir zunächst den Jahresbericht des vergangenen Jahres zur Grundlage, welcher stets vom Hauptlehrer der Realschule angefertigt wird.
Die Realschule besteht aus zwey Cursen; den ersten Curs hat Oberlehrer Wich mit 19. Schüler; daneben und zu gleicher Zeit hat derselbe die deutsche Elementar=Oberklasse ( IIIte Knabenklasse ) mit 24. Schüler; letztere Klasse bildet den Vorbereitungskurs für den Iten Kurs der Realschule; dieser Lehrer hat daher 43. Schüler. –
Der Hauptlehrer Schobloch hat den IIten Curs der Realschule mit 22. Schüler, wovon jedoch am Schluße des vergangenen Schuljahrs nur 11. eigentliche Schüler die Klasse bestückten. –
Lehrer Wich lehrt die eigentlichen Realien im ersten und zweiten Kurse der Realschule, als Physick, Chemie, Naturwissenschaften und Geometrie, zu der Zeit als dieser mit den Schülern des IIten Kurses sch beschäftigt, giebt der Hauptlehrer Schobloch den Knaben der Vorbereitungs= oder Oberklasse und jenen des Iten Realkurses Unterricht in Elementargegenständen, als Religion, deutsche Sprache, Rechnen, Geographie, bayerische Geschichte, Schönschreiben und Rechtschreiben, Geometrie bis zu den Flächen, dann etwas Algebra. Der Hauptlehrer giebt außerdem noch, wie uns der Jahresbericht belegt, wöchentlich eine Stune in Handelskunde, die aber die Schüler weiter mit nichts als mit Wechseln, im Allgemeinen, einfacher Buchführung und Rechnungsformularien bekannt macht.
Hieraus ersieht man, daß der eigentliche Haupt und Reallehrer mit dem höhern Gehalte ( er erhält 700. f -, Wich 600 f – ) außer der so eben erwähnten, wöchentlich in nur einer Stunde lehrenden Handelskunde, welches für diesen Gegenstand jedenfalls, wenn man dem schönen Namen einigermassen gerecht werden will, als kleinstdenkbares Minimum bezeichnet werden muß, nichts als Elementarunterricht ertheilt; wohl wird von ihm im Jahresbericht von Landkartenzeichnen lehren erwähnt, wir halten uns aber und sogar aus eigener Anschauung überzeugt, daß dieser Gegenstand gar nicht in eine Realschule paßt, daß er auch von ihm gar nicht gelehrt werden kann, denn ein Landkartenzeichnen setzt ein Situationszeichnen voraus, das der Lehrer nicht versteht, und das nur in oberen Kursen vom Polytechnicums gelehrt werden kann. – Wir haben dieses Gegenstand blos erwähnt um darzuthun, wie man eigentlich gar nicht begreift, was in eine zeitgemäße Realschule gehört, und wie man willkührlich arbeitet; ebenso ist für die übrigen Wissenschaften, weder ein Anfang noch eine Grenze, bis wohin der Lehrer seine Schüler zu führen habe, bestimmt vorgeschrieben. Ebenso sind für diese wissenschaftlichen Gegenstände keine bestimmten Lehrbücher zum Vortrage bezeichnet. – Alles Vorgehen ist dem Eigenwillen des Lehrers anheim gegeben.
Von einem Anknüpfen an andere Lehranstalten ist gar nicht die Rede, daher der eigentliche Endzweck zu erreichen gar nicht möglich sein kann.
Soviel uns erinnerlich werden in Augsburg und München an dortigen Gewerbeschulen nirgends Hospitanten aufgenommen und sehr wahrscheinlich aus dem Grunde, weil in demjenigen Alter, in welchem die Gewerbeschüler leben, eine gewisse Schuldisciplin noch über die jungen Leute geübt werden muß und ihnen das Auswählen der ihnen beliebigen Lehrgegenstände noch nicht gestattet werden kann. – Ueberhaupt eine solche Willkühr unfehlbar auf den Unterricht störend einwirken muß. –
Wir ersehen aber noch ferner aus bezeichnetem Berichte, daß am Schluße des letzten Schuljahres 15. Hospitanten oder Zöglinge des Schoblochischen Instituts nebst den nur 11. wirklichen Schülern unsere Realschule besuchten,
In dem IIten Kurse der Realschule ( Lehrer Schobloch ) befinden aber sich wie oben erwähnt eine ähnliche Zahl solcher Zöglinge seit geraumer Zeit Zeit Jahr aus Jahr ein in den Unterrichtsstunden von dem Kindes bis zum Jünglingsalter, die aber nur ausnahmsweise am Unterrichte für den IIten Realkurs theilnehmen, ja theils auch gar nicht Antheil nehmen können, weil darunter solche sich befinden, die noch gar nicht deutsch sprechen, es ist daher der Unterricht für die Zöglinge während der ganzen jährlichen Schulzeit bereits nichts anderes als Privatunterricht, und sie sollen sogar die vorderen zunächst dem Lehrer liegenden Plätze ausschließ= und einnehmen, die eigentlichen Realschüler aber auf den dahinterstehenden Bänken sitzen, obwohl der Lehrer doch nur für eigentliche Realschüler seine Besoldung erhält; sie zahlen allerdings etwas Schulgeld, aber immerhin bleibt Privatunterricht innerhalb der gesetzlichen Schulzeit ein Unding.
Ein anderer jedenfalls wie uns scheint noch größerer Mißstand des bestehenden IIten Kurses der Realschule ist derjenige: daß diese Zöglinge vor ihrem Eintritte gar keine Aufnahmsprüfung erstehen, es wird gar nicht sich vergewissert, ob der aufzunehmende Zögling, oder wie man ihm den Namen gibt „Hospitant“ die nöthigen Vorkenntnisse für diese Klasse besitze; unsere Söhne müssen, wenn solche aus dem Iten in den IItenKurs treten wollen, jedenfalls eine Prüfung bestehen, die Aufnahme der Hospitanten in den IIten Kurs ( im I Kurs gibt es keine ) ist aber schon gewährleistet, sobald der Schüler in Kost und Logie des Hauptlehrers eintritt. Ein spezieller Fall kann aus neuester Zeit angeführt werden:
Ein Knabe vom Lande besuchte im vorigen Schuljahr die Elementar=Oberklasse des Lehrers Wich, war hier in einem Privatlogie, das er fürs kommende Jahr nicht wieder beziehen konnte. Der Vater gibt ihn in Kost und Logie dem Institutsinhaber und Hauptlehrer und er tritt sonach ohne Weiteres von der Oberelementarklasse in den IIten Kurs der Realschule. –
Vielseitig sind diese Verhältnisse gewiß einer Erwähnung werth, denn so oft wir diese und die durch den Umschwung der Zeit herbeigeführten, uns so recht eigentlich klar zu machen suchen, so finden wir keinen anderen Ausweg für unsere männliche Jugend als denjenigen, eine ihr zu verschaffende gediegenere in geregelte Bahnen gelenkte Ausbildung. Die Richtigkeit und Untrüglichkeit für das Erkennen dieses Mittels finden wir in dem, in allen civilisierten Staaten so deutlich hervortretenden Kundgeben und Streben nach besserer Ausbildung des Arbeiter= und Gewerbe=Standes, damit derselbe von dem Zeitanschritte nicht überholt, sondern maaßhaltend mit demselben vorwärts zu gehen vermöge.
Wenn dann auch das eine oder andere hier bestehende Gewerbe nicht mehr Brod bietet, so werden die mit gründlicheren Kenntnissen Ausgerüsteten es verlassen und nach anderen Erwerbsarten greifen, oder jedenfalls auswärts Unterkunft finden.
Auch eine weitere Ausbildung in größeren Städten ist ihnen angebahnt, wenn sie gründliche Vorkenntnisse besitzen, was im gegentheiligen Falle ihnen nimmer möglich ist.
Von all diesem geleitet glauben wir nur in der Errichtung einer vollkommenen königlichen Gewerbeschule mit drei Cursen allein nur eine seegenspendende Zukunft für unsere Jugend erwarten zu können und weisen in einer Beilage nach, daß wir alle nur möglicherweise uns zu Gebote stehenden Mittel zur Verfügung stellen, welche auch dem von hohen königlichen Regierungskostensanschlag für eine königliche Gewerbeschule mit II Cursen mehr als entsprechen dürfte. Höhern Orts hat man uns allerdings zu bedenken gegeben, es seien in unserem Kreise vier Gewerbe= und eine Polytechnische= Schule. Die Städte seien nunmehr durch die Eisenbahnen so nahe gerückt, daß für Lindau eine Gewerbeschule nicht mehr für nothwendig erachtet werde.
Legen wir aber zu dem bereits Gesagten auch noch Folgendes in die Waagschale, so dürfte unsere Ansicht und unsere Wünsche doch Würdigung finden.
Knaben, wenn sie an Gewerbeschulen sollen, müssen noch im zarten Alter den häuslichen Herd verlassen und die Eltern, wenn sie nicht gerade Verwandte oder Bekannte in einer solchen größeren Stadt haben, müssen das ihnen Theuerste oft aufs gerathewohl fremden Händen überlassen.
In einer Zeit, wo es am nothwendigsten wäre, die Kinder, weil ihnen noch jede Selbstständigkeit fehlt, noch selbst in täglicher Aufsicht zu haben. Gedenken wir dabei der vielen Gelegenheiten, denen sie durch böse Gesellschaften Preis gegeben sind, so hat gewiß allein schon das, daß man sie in der Familie behalten könne, einen großen Werth.
Anderst aber verhält es sich in finanzieller Beziehung und wir wollen für diesen Fall eine dieser Tage ausgesprochene Thatsache eines gering besoldeten sehr achtbaren aber innig besorgten Familienvaters und Angestellten bei königlicher Eisenbahn wörtlich anführen:
„wird es denn noch nicht bald mit Errichtung der hiesigen Gewerbeschule etwas? ich habe zwei sehr brave und lernbegierige Knaben; einen hievon habe ich im ersten Kurse der Gewerbeschule in München untergebracht, der zweite wünscht ebenfalls nächstes Jahr dahin zu kommen, aber bei dem geringen Gehalte, den ich hier beziehe, bei dem theuren Lebensunterhalte weiß ich kaum, ob es mir möglich wird, den einen ersten in der Gewerbeschule zu lassen ( wenn ich nicht das Glück erhalte, nach Augsburg oder München versetzt zu werden, was ich aus diesem Grunde schon nachgesucht habe ) so muß ich den braven Knaben aus seiner begonnenen Laufbahn wieder heraus reissen, auf bessere Bildung verzichten und in eine Lehre unterbringen.
Leicht möglich wäre es mit aber für beide, wenn eine Gewerbeschule hier bestünde, denn Kost, Logie, Wasch und dergleichen erhielten sie bei geringerer Einschränkung in der Familie und für die jungen Leute wäre nach wenigen Jahren auch selbst dann gesorgt, wenn ihre Eltern nicht mehr lebten.“
Wie es die königlich Angestellten, ebenso berührt es alle unbemittelte hiesige Einwohner seien sie welcher Confession oder welchen Standes sie auch nur wollen. Wenn der Vater auch sehr wenig bemittelt ist, so vermag er doch bei einiger Anstrengung in der Familie die nöthigsten Bedürfnisse zu bieten, aber für fremden Ort vermag er nicht jährlich, wenig gesagt, 200. fl – aufzubringen.
Und doch erkennt gewiss jeder für seine Familie lebende Hausvater in gründlicher Ausbildung seiner Kinder seine höchste Lebensaufgabe, denn er weiß ja, wenn er ihnen auch kein Vermögen hinterläßt, sie alle doch genug besitzen, wenn sie in der Jugend Schönes und Tüchtiges gelernt haben! –
Mit der Entstehung einer vollkommenen königlichen Gewerbeschule erhalten wir auch für die Mehrbejahrten eine gute Sonn= und Feiertagsschule. Industrielle Gewerbemeister und Gesellen finden sodann ebenfalls noch Gelegenheit ihr Wissen zu bereichern, zu vervollkommnen.
Unsere Bitte geht nur allein dahin, man möge gewogendst die angegebenen wahrheitsgetreuen hiesigen Schul= und Gewerbeverhältnisse einer genauen Prüfung unterstellen, dann zweifeln wir nimmermehr, daß nicht unsere hohe königliche Provinzial=Regierung die allerhöchste Genehmigung zur Errichtung, wie ebenso bei dem Landrathe eine jährliche Unterstützungssumme für den IIIten Curs einer hiesigen Gewerbeschule bevorworten werde.
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[…]
Lindau im April 1859
Einer
Königlichen Regierung von Schwaben und Neuburg / Kammer des Innern
unterthänigst gehorsamste.
Vor die Schuler
- Die Schuler sollen ihre Praeceptores [Lehrer] nicht anderst als ihre Vätter lieben, ehren, gutes von ihnen reden, und ihrer Straff sich gehorsamlich unterwerffen.
- In die Schul sollen sie zu bestimmter Zeit und zwar sein reinlich und ehrbar und in den 2. obern Claßen mit den Mänteln erscheinen, und wehrend der Schul nicht mehr hinaus lauffen, auch mit ihren Büchern und aller Zubehör versehen, und dasjenige, so ihnen vorgegeben worden, zu recitirn [wiedergeben] oder zu exhibirn [vorzeigen] bereit und fertig seyn.
- So bald sie in ihre Claß kommen, welches ohne unnöthiges herumlauffen also bald geschehen soll, sollen sie sich fein still und sittsam an ihren Orth setzen und ihre Lectiones vornehmen.
- Ihre Lectiones sollen sie nicht plauderhafftig sondern deutlich recitirn, wie auch die Exercitia [Übungen] Jeder selbst componirn, da sie aber darinn einen Betrug gebrauchen wurden, sollen sie sambt denen, die ihnen darzu geholffen, gebührend gestrafft werden.
- Wann von dem Praeceptore die Lection vorgelesen, oder etwas erklärt oder dictiert wird, sollen sie fleissig darauf mercken, und zu solcher Zeit mit nichts anders umgehen.
- Die in den zwey obern Classibus sitzen, sollen so wohl unter sich selbst, als mit ihrem Praeceptore anders nicht als lateinisch reden, es seye gleich in der Schul oder ausser derselben, worauf gute achtung zu geben.
- In Geberden, Worten und Wercken sollen sie sich so wol in der Schul, als auff der Gassen, als wolgezogne Christliche Kinder ehrbar, züchtig, demüthig, und gegen jedermann sonderlich aber gegen vornehme und andere ehrliche Leute ehrerbietig erweisen, und sich wohlanständiger höfflicher Sitten befleissigen.
- Vornehmlich aber sollen sie sich alles Fluchens und Schwörens, alles Zanckens und Nachahmens, alles Liegens [Lügens] und Stehlens, aller Zotten [Zoten] und Possen, auch sonst aller Leichtfertigkeit und unzüchtigen Wesens gäntzlich bemüssigen, oder andern zum Exempel ernstlich abgestrafft werden …
- Wann sie mit Erlaubnis ihrer Eltern etwa im See baden, oder sonst andere ehrliche Recreation [Erholung, Pause] haben, soll alles züchtig, still, und ehrbar zugehen. In Sauff-und Spil-Winckeln aber, desgleichen auff dem Tantz-Hauß (wann sie keine Hochzeit-Gäst sind) wie auch auff dem Eiß, und anderen ihnen verbottenen Orthen, sollen sie sich nicht antreffen lassen, auch sonsten sich des Schreyens, Schleiffens, Schneeballens, Schlagens, und andern wilden Wesens, so wol auff dem Schul-Weg als sonsten, gantz und gar enthalten, oder der Straff gewarten.
- Ohne erhebliche Ursach soll keiner von allen Discipulis [Schülern] einige Schul oder Kirch versaumen, sondern sich entweder einfinden, oder seinem Praeceptori die Ursach des Ausbleibens, womöglich zuvor anzeigen, und um Erlaubnus bitten.
- So soll auch keiner eigens Gefallens gar aus der Schul tretten, sondern wann er dergleichen vorhat, solches seinem Praeceptori, der Praeceptor aber denen Herren Visitatoribus [der Schulaufsicht] anzeigen. Wann nun diese dem Schuler die Erlaubnus geben, soll er von seinem Praeceptore gebührenden Abschid nehmen, und demselben seine Müh, Treu, und Fleiß ja nit mit schändlichem Undanck belohnen.