Semi­nar der Aka­de­mie für Poli­ti­sche Bildung

Seit Don­ners­tag­mit­tag und bis zum Sonn­tag – ja, rich­tig gele­sen! – tagt am BOGY ein Schü­ler­se­mi­nar der Aka­de­mie für Poli­ti­sche Bil­dung Tutz­ing (apb) zum The­ma „Der Nahe und Mitt­le­re Osten”. Ins­ge­samt neh­men 19 Schü­le­rin­nen und Schü­ler aus bei­den Lin­dau­er Gym­na­si­en teil. Sie sind Mit­glie­der des Kur­ses „Inter­na­tio­na­le Poli­tik”, der unter der Lei­tung von StDin Clau­dia Maria Hugo vom Bega­bungs­stütz­punkt Mem­min­gen ange­bo­ten wird.

Refe­rent des Schü­ler­se­mi­nars der apb ist Micha­el Ing­ber. Nach dem Stu­di­um der Phi­lo­so­phie und Geschich­te in New York hat er lan­ge Zeit in Isra­el gelebt und ist der­zeit Gast­do­zent der Aka­de­mie für Poli­ti­sche Bil­dung sowie Lehr­be­auf­trag­ter an der Uni­ver­si­tät Passau.

Ein detail­lier­ter Bericht vom Semi­nar folgt wei­ter unten.

Bevor wir uns auf die Rei­se durch den Nahen Osten bega­ben, stell­te uns der Refe­rent unse­res Semi­nars Herr Ing­ber eine Fra­ge: Was ist der Ori­ent und wor­an den­ken wir, wenn wir das Wort „Ori­ent“ hören?

Er erklär­te uns, dass der Begriff „Ori­ent“ und die Bil­der, die wir mit ihm asso­zi­ie­ren, von den Euro­pä­ern zur Zeit der Ent­de­ckungs­rei­sen und des Kolo­nia­lis­mus geprägt wur­den und sich über die Jah­re sich nicht mehr erneu­er­ten. Bei­spiels­wei­se stel­len wir uns öfters den Ori­ent wie aus dem Mär­chen „Tau­send­und­ei­ne Nacht“ vor. Zur dama­li­gen Zeit galt das Abend­land (Oxi­dent) als zivi­li­siert und das Mor­gen­land (Ori­ent) hin­ge­gen stand für Exo­tik, Bedro­hung, Gewalt und Sexua­li­tät. Man­che Men­schen haben heu­te noch sol­che Vor­stel­lun­gen vom Orient.

Sobald die­ser Begriff geklärt wor­den war, kam die Rei­he an uns: Durch selb­stän­di­ges Arbei­ten und Den­ken wur­den wir dazu ange­regt, Ant­wor­ten auf simp­le, jedoch trotz­dem kom­ple­xe Fra­gen zu fin­den, und die­se dann mit dem Rest des Kur­ses zu dis­ku­tie­ren. Die behan­del­ten The­men wur­den in sechs Grup­pen unter­teilt und lau­te­ten „Fun­da­men­ta­le Fra­gen zu Kon­flik­ten im Nahen Osten“, „Iden­ti­tät, Nation-Staat-Religion – Was sind des­sen Defi­ni­tio­nen?“, „Medi­en und ihre Aus­wir­kun­gen“, „Wie beein­flusst glo­ba­le Erwär­mung die Situa­ti­on im Nahen Osten?“ und „Was ist Xeno­lo­gie?“ Eine beson­de­re Prä­sen­ta­ti­on war zum Bei­spiel die einer Grup­pe, wel­che einen Sketch vor­be­rei­tet hat­te, der Vor­ur­tei­le und Aus­gren­zung am Bei­spiel der Men­schen im Drit­ten Reich darstellte.

Mit dem nun erar­bei­te­ten Grund­ge­rüst an Begrif­fen wag­ten wir uns jetzt in die Welt des Nahen Ostens. Damit wir wuss­ten, wohin wir navi­gier­ten, mach­ten wir uns zuerst ein­mal mit der Gegend bekannt und setz­ten uns mit den Staa­ten und Län­dern dort aus­ein­an­der. Bei­spiels­wei­se lern­ten wir, dass die Abkür­zung „MENA“ für „Midd­le East and North Afri­ca“ steht und, dass man sie in zwei Gebie­te unter­tei­len kann: Der west­li­che Maghreb ( = Nord­afri­ka) und das öst­li­che Maschreq ( = Naher Osten). Danach tauch­ten wir in des­sen Geschich­te ein, die um 1000 v. Chr. begann.
In den Nach­rich­ten klingt es häu­fig so, als wäre der israelisch-palästinensische Streit, der Haupt­kon­flikt in die­ser Regi­on, etwas Neu­es. Herr Ing­ber mach­te uns jedoch mit einer Zeit­ta­fel und einer Powerpoint-Presentation klar, wie lan­ge schon Span­nun­gen in den Gebie­ten herr­schen. Vie­le ent­stan­den durch tief­sit­zen­de eth­ni­sche und reli­giö­se Zusam­men­hän­ge und Spannungen.
Außer­dem erfuh­ren wir, dass die ara­bi­sche Welt uns Euro­pä­ern in vie­len Punk­ten wis­sen­schaft­lich vor­aus war. Wer hät­te gedacht, dass schon im Jah­re 880 ein Arzt im Ori­ent eine Flug­ma­schi­ne bau­te und damit sich auch in der Luft hielt? Etwa 1000 Jah­re, bevor der Euro­pä­er Otto Lili­en­thal den ers­ten Segel­flug­ap­pa­rat erfun­den hatte.
Von die­sen wis­sen­schaft­li­chen Vor­sprün­gen gegen­über Euro­pa gibt es jede Men­ge, jedoch wer­den sie in der Schu­le häu­fig nicht erwähnt, obwohl sie für die Geschich­te vie­ler wis­sen­schaft­li­chen Ent­de­ckun­gen in der Phy­sik, Mathe­ma­tik und Medi­zin erwäh­nens­wert wären.

Es ist nur sehr schwer vor­stell­bar, wie es an den Check­points der Gren­zen zwi­schen Isra­el und Paläs­ti­na vor­geht. Dass das Auf­ein­an­der­tref­fen von israe­li­schen Sol­da­ten und paläs­ti­nen­si­schen Zivi­lis­ten nicht immer rei­bungs­los ver­läuft, kann man sich vor­stel­len. Aber was uns Herr Ing­ber in einer Doku­men­ta­ti­on zeig­te, war sehr scho­ckie­rend. Sol­da­ten beläs­tig­ten Mäd­chen, die sel­ten viel älter als 14 Jah­re alt waren, oder es wur­den Fami­li­en getrennt, weil die Mut­ter bei­spiels­wei­se nur eine Kopie von einem Pas­sier­schein dabei hat­te. Die Rege­lun­gen waren in etwa fol­gen­der­ma­ßen: Für Paläs­ti­nen­ser gab es ohne Pas­sier­schein kei­nen Durch­gang, und die israe­li­schen Sol­da­ten oder Poli­zis­ten ver­such­ten auch nicht, den oft hoff­nungs­lo­sen Zivi­lis­ten zu hel­fen, obwohl sie sich deren Lage bewusst waren. Mit der Hil­fe des Films wur­de uns der Kon­flikt um eini­ges näher­ge­bracht und man ver­stand nun die Hoff­nungs­lo­sig­keit und den gegen­sei­ti­gen Hass.

Bald dar­auf erzähl­te uns unser Refe­rent Herr Ing­ber etwas über sei­ne eige­ne, höchst inter­es­san­te Bio­gra­phie. Gebo­ren in New York, stu­dier­te er vier Jah­re lang Phi­lo­so­phie und Geschich­te an der Colum­bia Uni­ver­si­ty in der­sel­ben Stadt. Dar­auf­hin besuch­te er die Hebrew Uni­ver­si­ty in Jeru­sa­lem. Er ist Jude und hat den ame­ri­ka­ni­schen und israe­li­schen Pass. Nach­dem er die israe­li­sche Staats­bür­ger­schaft annahm, ging er für 15 Jah­re in die Armee. Dort begann er als Berufs­of­fi­zier und arbei­te­te sich schluss­end­lich zum Rang Major hoch. Unser Gast­do­zent erzähl­te uns aus­führ­lich über sei­ne Erleb­nis­se im Mili­tär; wie er Leu­te ver­haf­te­te oder Häu­ser spren­gen muss­te. Anschlie­ßend wur­de er Rei­se­lei­ter in Israel-Palästina für deutsch­spra­chi­ge Stu­di­en­grup­pen und arbei­te­te als Koor­di­na­tor für ver­schie­de­ne Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen im Bereich von Bildungs- und Sozi­al­ar­beit. Er ist auch in Frie­dens­ak­ti­vi­tä­ten im Rah­men vom Israel-Palästina Kon­flikt enga­giert. Seit sech­zehn Jah­ren wohnt Herr Ing­ber nun in Öster­reich. Er ist Lehr­be­auf­trag­ter an Uni­ver­si­tä­ten in Pas­sau und Mar­burg, neben­bei ein Pro­jekt­lei­ter von Schü­ler­fo­ren an der Aka­de­mie für Poli­ti­sche Bil­dung Tutz­ing und ein Bil­dungs­re­fe­rent für Erwach­se­nen­bil­dung. Dabei sind sei­ne Schwer­punk­te: Poli­tik­wis­sen­schaf­ten, der Nah­ost­kon­flikt, Frie­dens­for­schung, Men­schen­rech­te und inter­re­li­giö­se Angelegenheiten.

Der Höhe­punkt des Semi­nars für uns Jugend­li­che war dann aber am letz­ten Tag ein Plan­spiel, in dem wir eine Frie­dens­kon­fe­renz simu­lier­ten, in wel­cher wir Rol­len von Poli­ti­kern oder ande­ren wich­ti­gen Ver­tre­tern von Staa­ten über­nah­men. Herr Ing­ber stell­te uns Bücher zur Ver­fü­gung und wir hat­ten Zeit uns über unse­re Rol­le zu informieren.
Wäh­rend der Kon­fe­renz gab es zunächst eine kur­ze Vor­stel­lungs­run­de, in der jeder die wah­ren Inter­es­sen sei­nes Vol­kes oder sei­ner poli­ti­schen Grup­pe vor­stell­te – und das war auch gut so, denn mit den wah­ren Moti­ven argu­men­tier­te spä­ter kaum einer mehr. Dann bespra­chen unter der Lei­tung der UN diver­se Betei­lig­te, Groß­mäch­te und ande­re Orga­ni­sa­tio­nen die Kon­flik­te im Nahen Osten und ver­such­ten Lösun­gen zu fin­den, was größ­ten­teils nicht mög­lich war. Die Betei­lig­ten beschul­dig­ten ein­an­der, für die Pro­ble­me ver­ant­wort­lich zu sein, misch­ten sich in die Ange­le­gen­hei­ten ande­rer ein, ver­ga­ßen die Geset­ze der Höf­lich­keit und zeig­ten so beein­dru­ckend, wie ver­schach­telt und unent­zerr­bar die Kon­flik­te tat­säch­lich sind, wie schwie­rig sich Frie­dens­ver­hand­lun­gen gestal­ten und dass sie nur mög­lich sind, wenn fast jeder Betei­lig­te über sei­nen Schat­ten sprin­gen würde.
So lern­ten wir bei die­sem Plan­spiel nicht nur mehr über Poli­ti­ker, Völ­ker, Ter­ror­mi­li­zen oder Geo­gra­phie, son­dern auch vie­le Din­ge über das freie Spre­chen und das Hin­ein­ver­set­zen in ande­re Rol­len. Aus die­ser Erfah­rung konn­ten wir Schü­ler und Schü­le­rin­nen viel mit­neh­men, und zwar nicht nur Din­ge wie das Äußern von Ideen in einer ver­ständ­li­chen Art und Wei­se… Falls sich ande­ren Schü­lern die Mög­lich­keit bie­ten soll­te, bei einem sol­chen Plan­spiel teil­zu­neh­men: Wir raten ihnen sehr dazu!

Die vier Tage mit Herr Ing­ber und unse­ren Kurs­mit­schü­lern zu ver­brin­gen war eine schö­ne und auch anspruchs­vol­le Zeit: Wir haben gelacht, gemein­sam geges­sen, dis­ku­tiert, uns gestrit­ten, uns auf­ge­regt, Mei­nun­gen aus­ge­tauscht, und waren frus­triert, als wir her­aus­fan­den, wie schwer man­che Situa­tio­nen sind. Und am Ende des Semi­nars waren wir um eini­ges auf­ge­klär­ter über den Zustand im Nahen Osten.

Uns bleibt nur noch eins zu sagen: Wir möch­ten jeden wei­te­ren Schü­ler dazu moti­vie­ren, sich für die Poli­tik zu interessieren.

Joel­la Küp­per, Anaïs Melan, Felix Augus­tin, Noé­mie Melan

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