Bei der Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag vor der Peterskirche trägt Silas Eisenacher von der Klasse 5b des Bodensee-Gymnasiums eigene Gedanken vor und die von Lilli Iden. Auch Rebekka Lohrmann von der 8b (hinten links) brachte Gedanken zum Volkstrauertag, nachdem OB Gerhard Ecker (rechts) seine Ansprache gehalten hatte. Foto: Christian Flemming
Lindau – „Die Vergangenheit muss reden, und wir müssen zuhören. Vorher werden wir und sie keine Ruhe finden” – unter dieses Zitat von Erich Kästner hat Lindaus OB Gerhard Ecker seine Ansprache zum Volkstrauertag vor der Peterskirche auf der Lindauer Insel gestellt. Zum Thema Armut, die sie als eine Ursache für Krieg erkannt haben, trugen Rebekka Lohrmann und Silas Eisenacher vom Bodensee-Gymnasium eigene Beiträge zu dieser Gedenkveranstaltung bei.
Nicht um Schuldzuweisung für die Taten der Vergangenheit, sondern um Verantwortungsübernahme für das Handeln in der Gegenwart und in der Zukunft gehe es bei dem heutigen Gedenken, sagte Ecker, nachdem der Musikverein Reutin die Gedenkstunde eröffnet hatte. Ecker richtete mahnende Worte gerade auch an jene, die meinten, die Zeit des Gedenkens sei vorbei. „Sie wollen nur wieder alten Ungeist bringen und in unsere Parlamente tragen”, warnte der Oberbürgermeister.
Angesichts der Flut grausamer Bilder aus Syrien, Myanmar oder zuletzt dem Jemen, zerstörter Städte und unterernährter Kinder, die dem Tod nahe seien, dränge sich die Frage auf, ob niemand der Vergangenheit zugehört habe. Es seien stets die Schwachen, die sich der Krieg zuerst als Opfer nehme. Ecker gedachte auch der vielen unrechtmäßig ins Gefängnis geworfenen Menschen, darunter Journalisten und Professoren in der Türkei.
„Gerade jetzt braucht es eine lebendige, nach vorne gerichtete Erinnerungskultur”, zeigte sich Ecker überzeugt: „Wir müssen auf die Vergangenheit hören, die uns warnt! Wir müssen den Willen zum Frieden und zur Versöhnung haben”, gerade angesichts der heimtückischen Attacken des IS überall auf der Welt. Man dürfe aber nicht in Trauer und Gedenken erstarren, fuhr der OB fort, „wir müssen uns für eine friedlichere, gerechtere Welt einsetzen”. So müsse die EU mehr sein als eine Wirtschaftsunion, vielmehr ein europäischer Werteverbund, in dem der Frieden das zentrale Ziel sei.
„Ich bin nicht so naiv zu glauben, der Einzelne könne die Welt retten. Aber wenn jeder an seinem Platz tut, was möglich ist, dann steigt die Chance auf Frieden”, schloss der Oberbürgermeister, der dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge für sein Engagement dankte. Er erinnerte auch an den kürzlich verstorbenen Benedikt Wunderer, dem Frieden und Versöhnung sehr wichtig war. Ein weiterer Dank galt den Kirchen, die mit ihren jährlichen Spendenaktionen helfen würden, Hunger und Leid in der Welt ein wenig abzumildern. Denn gerade die Armut sei ein Grund für Gewalt und Krieg – ein Gedanke, den Rebekka Lohrmann und Silas Eisenacher aufnahmen.
Bogy-Schüler befassen sich mit derArmut hierzulande und in der Welt
So ging die Achtklässlerin Rebekka Lohrmann darauf ein, dass für viele in Armut Lebende die Religion ein Weg sei, ihre Situation erträglicher zu machen. „Es sollte jedem klar sein, egal ob arm oder reich, dass jeder Mensch gleich behandelt werden muss und dass kein Mensch Vorurteile gegenüber anderen haben soll – gerade gegenüber denen, die sowieso schon in einer sozialen Randgruppe leben”, sagte die Bogy-Schülerin.
Gedanken über sichtbare Armut schrieb Lilli Iden nach einem Kinobesuch nieder, die der Bogy-Fünftklässler Silas Eisenacher vor der Peterskirche vortrug. Ein Obdachloser, der um Geld bettelte, hatte ihr fast die Freude auf den Kinobesuch mit ihrem Freund verdorben. Der Mann ging ihr dann während des gesamten Films nicht aus dem Kopf und so gab sie ihm danach ihr übriges Geld – und erntete ein Lächeln des Mannes.
Silas Eisenachers eigene Gedanken drehten sich um versteckte Armut. Sichtbare Armut gebe es in der Welt, so kein Wasser, kein Haus, kein Essen, keine Toilette. Hier hingegen sehe das anders aus: „Warum gilt bei uns jemand als arm, der zum Beispiel in Uganda als relativ gut versorgt dasteht?” Der Fünftklässler gab Antworten: Wenn jemand sich Smartphone, Schulausflug oder Schüleraustausch nicht leisten könne, sei das ein Beleg für Armut. „Wenn ich das alles nicht habe, leide ich zwar keinen Hunger und bin auch nicht obdachlos, aber bei uns in Deutschland wäre ich trotzdem arm”, sagte der Schüler. Er sei kein Teil der Gemeinschaft – „und das tut weh! Wie kommt es, dass wir das so häufig übersehen?”
Quelle: Lindauer Zeitung vom 20.11.2017, online verfügbar unter http://www.schwaebische.de/region_artikel,-Wir-muessen-der-Vergangenheit-zuhoeren-_arid,10772329_toid,441.html