Das Humpis-Quartier in Ravensburg ist ein Beispiel gelungener Museumspädagogik. Ein Gang durch dieses mittelalterliche Häuserkonglomerat ermöglicht einen einzigartigen Einblick in die Lebens- und Arbeitswelt einer der bedeutendsten Familien von dort ansässigen Fernhandelskaufleuten, den Humpis. Die Stadt lag strategisch günstig an der Handelsachse zwischen Nürnberg und Italien. Der Familie Humpis gelang es im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert ein gigantisches europäisches Handelsimperium zu errichten. Henggi Humpis war ein bedeutender Vertreter der schwäbischen Handelsdynastie. Seine Grabplatte ist im Original in der Zisterzienserkirche in Ravensburg zu sehen. Eine Nachbildung ziert die prächtige Eingangshalle im Museum Humpis-Quartier. Hans Humpis (1430–1512) war der wohl reichste und mächtigste Vertreter der Handelsfamilie. Als er mit 82 Jahren starb, hinterließ er seinen Nachfahren einen unermesslichen Reichtum. So gehörten ihm in der Stadt selbst 125 Häuser. Die Familie stellte von 1298 bis 1528 gleich 77 Mal das Amt des Bürgermeisters. Ausgangspunkt und Grundlage des wirtschaftlichen Aufschwungs war der Handel mit Tüchern und Stoffen. Der Flachsanbau in der Region war sprichwörtlich: Aufgrund der blauen Blüte des Flachs‚ sprach man sogar vom „blauen Allgäu“. Um 1380 schloss sich das Geschlecht mit den Mötteli von Buchhorn und den Muntprat von Konstanz zur Großen Ravensburger Handelsgesellschaft zusammen. Damit bestimmten sie die wirtschaftliche Entwicklung in der gesamten Bodenseeregion.
Auf dem Weg durch das Humpis-Quartier bieten Themenräume einen exzellenten Einblick in das mittelalterliche Ravensburg. Im Zunftraum mit den riesigen bunten Zunftscheiben wurde uns vor Augen geführt, dass das Zusammenleben der Menschen in der Stadt durch die Zünfte geprägt war. Darunter versteht man einen Zusammenschluss von mehreren Personen, die dasselbe Gewerbe betreiben oder mit demselben Material arbeiten. Die prächtigen Zunftscheiben mit ihren jeweiligen Familienwappen repräsentieren die acht Zünfte, beispielsweise die Bäcker- und die Schmiedezunft oder diejenige, die als die ärmste galt, die der Rebleute. Auf den Zunftsitzungen wurden auch Fragen der Organisation geklärt. Aber nicht jeder durfte wählen, möglich war dies erst ab dem Rang eines Meisters. Außerdem war es auch erst ab dieser Position erlaubt zu heiraten, damit die Population der Stadt nicht unkontrolliert wuchs. Das war wichtig, um die Ernährung der Bewohner zu gewährleisten. Auf den Zunftsitzungen spielte übrigens die „Klappe“ eine wichtige Rolle. Sie gehörte zu einer Holzkiste, die geöffnet wurde, wenn die Sitzung begann, und bei deren Ende wieder geschlossen wurde. Daher kommt die noch heute gebräuchliche Wendung „die Klappe halten“. Wir waren überrascht, wie viele Redensarten und sprachliche Wendungen aus dieser frühen Zeit stammen. So auch der Begriff „einfältig“: Im Mittelalter konnte man Reichtum auch ausdrücken, indem man seine Kleidung faltenreich anfertigen ließ. Da Stoff sehr teuer war, konnten nur wohlhabende Bürger ihren Reichtum so zur Schau stellen: Henggi Humpis war einer von diesen. Das faltenreiche Gewand, das er auf seiner Grabplatte trägt, legt Zeugnis davon ab.
Wir gewannen auf unserem weiteren Rundgang auch einen Einblick in das Gerichts- und Rechtswesen einer mittelalterlichen Stadt. Man ging damals nicht zimperlich mit Bürgern um, die sich außerhalb der städtischen Ordnung mit ihren unzähligen Verordnungen bewegten. Der „Schandmantel“, ein Holzfass, mit dem ein Delinquent in der Stadt öffentlich zur Schau gestellt und dem Spott der Mitbürger preisgegeben wurde, führte uns dies vor Augen.
Auf unserem Rundgang gelangten wir in die „gute Stube“ der Familie Humpis. Dieser Raum wurde ausschließlich für besondere Anlässe genutzt:: Er spiegelt den Wohlstand der Familie wider. Der holzgetäfelte Raum war durch einen großen Kachelofen beheizbar. Wohlhabende Leute, zu denen die Familie Humpis ohne Zweifel zählte, besaßen auch einen Gebetserker; über diesem durfte kein Stockwerk mehr sein, da der Glaube es verbot, etwas über Gott zu stellen. Die Familie konnte es sich leisten, Tage lang rauschende Feste mit erheblichem Fleisch- und Weingenuss zu feiern. Trinkgläser aus Glas, damals eine Rarität, durften dabei nicht fehlen. Außergewöhnliche, teure Gewürze, wie zum Beispiel der wertvolle Safran, ergänzten die Speisen. Ein eigenes Dampfbad zu haben, bedeutete Luxus, den die Familie Humpis wohl gern zur Schau stellte.
Anschließend gelangten wir in einen Raum, der das Zusammenleben verschiedener Glaubensrichtungen in Ravensburg zum Thema hat. Es gibt hier zwei Stadtteile, über deren Bewohner ein interaktiver Stadtplan Auskunft gibt: Handwerker und einfache Bürger waren meist katholisch und lebten in der Unterstadt, die reichen Patrizier, wie auch die Familie Humpis, waren protestantisch und residierten in der Oberstadt. Alle Institutionen wie der Stadtrat und das Bürgermeisteramt waren paritätisch besetzt. Auch Bäckereien oder Apotheken gab es für beide Konfessionen.
Ein weiterer Raum verdeutlichte das europaweite Handelsimperium der Humpis. An der Wand zu sehen ist ein großes Stofflaken mit dem Wappen der Familie. Der Name „Humpis“ leitet sich vermutlich von Hundbiss her, was anerkennend gemeint ist, weil der Name für die Tatkraft und Durchsetzungsfähigkeit der Familie steht. Für den damaligen Handel zählte Salz als Grundlage, aber auch die rote Koralle war sehr beliebt, da sie vor dem bösen Blick schützen sollte.
Handel zu betreiben war in dieser frühen Zeit kein einfaches Unterfangen, denn einerseits stellten insbesondere die winterlichen Alpen ein großes Problem für die Planwagen dar, andererseits war der Warentransport auf dem Mittelmeer gefährlich, da Seefahrer stets landnah segeln mussten. Dies nutzten Piraten aus. Zudem gab es viele Grenzen und Zollschranken sowie unterschiedliche Währungen in jeder Stadt und Gegend. Von der Erteilung eines Auftrags bis zur Lieferung der Ware konnten Jahre vergehen. Die Blütezeit der Ravensburger Handelsgesellschaft nahm ein jähes Ende, als Christoph Kolumbus Amerika entdeckte. Den Humpis waren die Distanz zur Neuen Welt und der Aufwand zu groß, weshalb sie den Handel als nicht mehr lohnenswert ansahen. Diese verhängnisvolle Entscheidung führte letztendlich dazu, dass der Wirtschaftsstandort Ravensburgs uninteressant wurde. Im Jahr 1530 erlosch die Handelsgesellschaft für immer. Die Familie Humpis kaufte sich Schlösser auf dem Land, verheiratete sich mit dem Adel und verprasste ihren Reichtum auf diese Weise.
Was bleibt, ist die Erinnerung an die Blütezeit Ravensburgs in der Frühen Neuzeit, wo diese Stadt sich als eine europäische Handelsmetropole, als ein Nabel der Welt im süddeutschen Raum, ansehen durfte. Das Humpis-Quartier gibt davon ein eindrucksvolles Zeugnis.
Kenan Karabag